Aus der Dunkelheit ans Licht. Ein Drama um die Tonart d-Moll bei Mozart.

Mehr als sechshundert Werke finden sich in Mozarts Schaffen - und die überwiegende Mehrheit ist in den Dur-Tonarten geschrieben. Selten, ganz selten wendet sich der Komponist den traurigen, dramatischen und dunklen Seiten der Welt, für deren musikalische Umsetzung er sich einiger Moll-Tonarten bedient. 41 Sinfonien - und nur zwei davon in Moll, 19 Klaviersonaten und 27 Klavierkonzerte - und auch nur je zwei Moll-Kompositionen. Unter einigen von Mozart verwendeten Moll-Tonarten nimmt die Tonart einen besonderen Platz ein - die Tonart seines letzten, unvollendet gebliebenen Werkes "Requiem", die die Todessymbolik tragende Tonart. Das ist in der Tat die Tonart der dunkelsten Seiten seiner Musik, mit schmerzlichen Gedanken über Leben und Tod. Mozart - und so aussichtslos? Es kann doch nicht wahr sein! Mozart, der "Spaßvogel" mit nicht ausschöpfbarem Humorgefühl und unbändig strahlender Freude - beeinflusst von der Todesthematik? Ja - und nein! Die Entwicklung der Mozart'schen Wahrnehmung dieser "dämonischen" Tonart weist einen bemerkenswerten Weg auf: Der tragische Grad steigt konstant - aber auch der Wille zur Überwindung wird dadurch auch stärker! Und nie bleibt Mozart am Ende in einem aussichtslosen, verzweifelten Zustand resignieren.

Betrachten wir dies an konkreten Beispielen, und dabei chronologisch.

Die kleine Fantasie KV 397. Eine dunkle Einleitung im unteren Register, mit den endlosen, konzentriertes, düsteres und angespanntes Denken wiedergebenden Arpeggien. Danach - zwei Themen mit zahlreichen seufzenden, stöhnenden und weinenden Motiven, die kein Ende dieses Leidens erblicken lassen. Eine Umkehr findet unerwartet und unvorbereitet statt: Nach den erneuten düsteren improvisatorischen Episoden scheint die Nacht voller wehmütiger Gedanken vorbei zu sein, und der neue Tag bricht an - dem Leben zugewandt und stimmungsvoll. Der Abschluss in der gleichnamigen Dur-Tonart (D-Dur) lässt alle Spuren der traurigen und schmerzvollen Nachdenklichkeit verschwinden - aber ohne Kampf, ohne Überwindung, als wäre der Todesschatten von selbst einfach zurückgezogen und hätte Mozart das Licht des Lebens noch genießen lassen.

Das nächste Werk in dieser Reihe ist das Klavierkonzert d-Moll KV 466 - eine entwickelte Komposition erheblicher dramatischer Kontraste und großer Energie, wofür sie übrigens von Beethoven sehr gemocht wurde. Die Außensätze des Konzerts stellen eine weitere Stufe der Entwicklung von d-Moll bei Mozart. Neben dem Klagenden ist auch viel Drang und Gewalt zu spüren, verbunden mit dem Gefühl von Unruhe und Unzufriedenheit. Der erste Satz fängt mit einem leisen, aber fieberhaft pulsierenden Thema, aus dem sich mehrere drohende Steigerungen entwickeln. Zu diesem drohenden, drängenden Charakter tragt auch die relativ dichte Orchestrierung mit Trompeten, Hörnern und Pauken bei. Flehende Intonationen in der Melodie - als Antwort auf die drohende Gewalt - werden von weiteren bedrängenden Themen immer wieder unterdrückt. Nach einer Romanze (2. Satz) erfolgt ein neuer Ansturm dieser gewaltigen Kräfte, und dabei in einem deutlich rascheren Tempo. Mit großer Mühe gelingt es, diesem Andrang standzuhalten, und schließlich kommt am Ende ein Durchbruch in die Dur-Sphäre - ein strahlender Abschluss in D-Dur krönt die Entwicklung dieser äußerst dramatischen Kollisionen. Hier kann man schon gar nicht von einer einfachen gedanklichen Abkehr von der dunklen Seite, wie es in der kleinen Fantasie KV 397 der Falle war, sprechen. Die Dramatik von d-Moll spitzt sich zu. Aber auch der Widerstandswille lässt nicht klar spüren.

Eine weitere Entwicklungsstufe stellt die Oper "Don Giovanni" KV 545 dar, und zwar die Ouvertüre und das Finale, wo die Tonart d-Moll die zentrale Rolle übernimmt. In diesem Werk steht sie bereits mit der Todesthematik fest verbunden - mit dem von Don Giovanni ermordeten Komtur sowie dem drauffolgenden Untergang von Don Giovanni selbst. Wenn in der Einleitung zur Ouvertüre dies sich erstmal nur als Andeutung der kommenden Geschichte skizziert, so erlebt man die Entfaltung dieser Symbolik in voller Kraft im Finale. Mit je zwei Hörnern und Trompeten sowie drei Posaunen und Pauken verstärkt Mozart den üblichen Holz- und Streichersatz. Es blitz und donnert: Der tote Komtur ist gekommen und löst die Höllenfahrt des unbelehrbaren Wüstlings aus, der in Feuer und Flamme untergeht. Mehr als vor zwei hunderten Jahren komponiert, beeindruckt diese Szene bei entsprechender Inszenierung immer noch bis zur Gänsehaut, und die entscheidende musikalische Rolle spielt dabei gerade die tonale Semantik Mozarts: mittels von d-Moll kann der Komponist auch Tote von jenseits zurückrufen. In diesem Kontext ist auch die Situation um den eigentlichen Abschluss der Oper von Interesse: Offiziell gibt es nach Don Giovannis Höllenfahrt noch die sogenannte Scena Ultima, in der die verbleibenden Figuren der Geschichte die Gerechtigkeit seines Untergangs preisen und die - wie man es schon vermuten kann - gerade in D-Dur als jubelnder Kontrast zum vorherigen Untergang endet. In diesem Falle lässt sich natürlich von einer konsequenten Entwicklung von d-Moll D-Dur sprechen. Aber dieser strahlende Abschluss, der sich ehrlich gesagt nach so einem gewaltigen Untergang als nicht so unproblematisch denken lässt, war in den Augen vieler Mozart-Forscher der damaligen Tradition geschuldet, das Publikum mit fröhlichen und teils moralisierende Schlussszenen zu begeistern. Es ist bekannt, dass Mozart auch mal dazu tendierte, die Oper mit der Höllenfahrt Giovannis zu beenden - also ohne so eine betonte Auflösung und etwas übertriebene Fröhlichkeit der Anderen. Da bleibt im Bewusstsein die Todessemantik von d-Moll natürlich noch lange nachwirkend.

Das letzte Objekt unserer Auseinandersetzung mit der Tonart d-Moll bei Mozart ist sein Requiem KV 626. Der Titel des Werkes spricht für sich – eine Totenmesse. Für die Verfolgung der Entwicklung von d-Moll in diesem Werk ist es prinzipiell wichtig, zu verstehen, dass wir hier mit zwei Fassungen zu tun haben: mit einer von Mozart (unvollendet nach Lacrimosa) und einer von Süßmayer (komplettiert). Fangen wir mit der letzteren an. Nach den von Mozart komponierten Sätzen in d-Moll (Kyrie, Dies Irae und Lacrimosa) hat Süßmayer nur für den Schlusssatz (Agnus Dei) auf d-Moll zurückgegriffen und somit - auch thematisch - den Kreis geschlossen, denn die Schlussfuge (Cum sanctis tuis) ist die genaue Wiederholung der Fuge "Kyrie Eleison" aus der ersten Nummer des Werkes, nur mit dem entsprechend anderen Text. Dies ist die überall auf der Welt gespielte Fassung - aus d-Moll zu d-Moll zurück, zurück in die Ewigkeit sozusagen. Jetzt ziehen wir mal "Mozarts Fassung" in Betracht (von einer Fassung spricht man in diesem Falle nur mit Verständnis dessen, dass sie natürlicherweise durch den Tod des Komponisten entstanden ist). Nach der konzentrierten, strengen und tatsächlich in die endlose Ewigkeit schauenden Kyrie und der die höllischen Flammen des Abrechnungstages ausmalenden Dies Irae haben wir einen weiteren Satz in d-Moll, in dem eine Erlösung in D-Dur kommt: Lacrimosa. Gerade dieser Satz lässt sich menschlich und musikalisch als der wahre Abschluss von Requiem empfinden. Aus der tiefen Traurigkeit, voller Tränen und Trostlosigkeit, erwächst doch am Ende ein anderes Gefühl - das Gefühl Erlösung, wo die Härte des Abrechnungstages und der Zorn Gottes aufgeweicht werden und die Toten doch ins Himmelreich aufgenommen werden. Diese Wendung erfolgt gerade in D-Dur - aus der Dunkelheit ans Licht. Mit dem letzten verklärten "Amen" endet die Lacrimosa und somit "Mozarts Requiem" in D-Dur. Ist es nicht höchst symbolisch, dass der Komponist auf dem Todesbett noch die letzte Kraft gefunden hat, eine Erlösung zu finden? Bekannt sind seine Worte: "Ich schreibe dieses Requiem für mich selbst". Erst nachdem er die Erlösung und somit endgültig den Weg aus dem dunklen d-Moll ans leuchtende D-Dur endgültig gefunden hat, hat er diese Welt verlassen, und seinem Abgang schauen wir nicht durch das kalte d-Moll des Abschlusses von Süßmayer, sondern durch das letzte wärmende Amen der Lacrimosa in D-Dur verklärt nach.

Text: Dr. Roman Salyutov, 2018