KV 283 Bergisch Gladbach

Mozart-Sonaten mit zweitem Klavierpart von Edvard Grieg

Mit Mozart durch die Zeit – Erfahrung einer besonderen Nachahmung

Gerade in der jetzigen Corona-Krisenzeit, wo uns Künstlern verboten wird, vor dem Publikum aufzutreten, versuchen wir trotzdem nicht zu resignieren und weiter aktiv zu üben – und darunter unser Repertoire zu erweitern. Dem können wir jetzt deutlich mehr Zeit als sonst schenken, und so kommt man dabei manchmal auf Werke, die eigentlich abseits vom gängigen Repertoire liegen, aber bei einer näheren Betrachtung eine echte Offenbarung darstellen.
Zwar gehört der Bereich der Klaviermusik zu den populärsten in der klassischen Konzertbranche, doch es gibt darin auch eine wesentliche Ausnahme – Werke für Klavier zu 4 Händen oder für zwei Klaviere, die tatsächlich sehr selten im Konzertbetrieb Beachtung finden. Zum Teil liegt es an der Infrastruktur, denn es ging einfach bei Weitem nicht in jedem Konzertraum zwei gute Klaviere bzw. Flügel, zum Teil aber an einer etwas ungewöhnlichen klanglichen Konstellation – Ähnliches beobachtet man beispielsweise mit Streichern, indem Werke für Streichorchester sehr populär sind, und Streichquartette eher etwas distanzierter wahrgenommen werden.

Nun sind wir auf einen solchen Fund in der Klavierliteratur gestoßen – die Sonaten G-Dur KV 283, c-Moll 457, F-Dur KV 533 & C-Dur KV 545 sowie die Fantasie c-Moll KV 475 für Klavier von Mozart, den denen der norwegische Komponist Edvard Grieg einen zweiten Klavierpart dazu geschrieben hat! „Was für eine Frechheit!“, könnte mancher behaupten – und würde aber damit falsch liegen, weil sich Grieg gerade aus seiner großen Bewunderung für Mozarts Musik für dieses einzigartige Experiment entschied.

Vor allem hat Grieg die originale Klavierstimme der Mozartschen Sonaten eins zu eins übernommen – ohne jegliche Änderung, und seine dazu komponierte zweite Klavierstimme stellt eine besondere Rezeption von Mozart oder, besser gesagt, den Versuch einer spätromantischen Rezeption dar. Dies ist keine banale „Norwegesierung“ Mozarts, sondern eher eine Betrachtung seiner Musik als eine universelle Inspirationsquelle für Komponisten egal welcher Herkunft und Epoche. Eine besondere Verbindung des Klassikers Mozart zur Romantik hob schon einmal Robert Schumann hervor, indem er behauptete, wenn Mozart im 19. Jahrhundert leben würde, würde er Chopins Klavierkonzerte komponieren. Chopins und Schumanns Lebenszeit fällt in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, und Griegs künstlerische Aktivität erstreckt sich über dessen zweite Hälfte bis ins Jahr 1907. Und somit sehen wir, dass Mozarts Vermögen, die schöpferische Kraft anderer Komponisten zu stärken auch in der spätromantischen Zeit nachwirkte – und nicht nur in der zentraleuropäischen kulturellen Hochburg, sondern auch im weiten Norden.

Mit jedem dieser fünf Werke geht Grieg sehr delikat und geschmackvoll um: Durch seine zweite Stimme zerstört er den Charakter der Mozartschen Stimmen nicht, sondern betont gerade das, was ihn bei Mozart besonders inspiriert. Dabei geht es vor allem um drei Komponenten: Harmonie, Rhythmik und der allgemeine Klaviercharakter (kammermusikalisch oder symphonisch).

So sind beispielsweise die „leichteren“ und schwebenden Sonaten KV 283, 533 & 545 in Griegs Fassung ein Beispiel für ein kammermusikalischen Ensemble, wobei die stürmisch-pathetische Sonate KV 457 durch den zweiten Klavierpart die Dimension eines echten Konzerts für Klavier mit Orchester erreicht. Die meisten, romantisch beeinflussten harmonischen Offenbarungen erwarten uns hier immer in den mittleren Sätzen, wobei die spannenden und in ihrer Frische manchmal recht unerwarteten rhythmischen Experimente – auffällig geprägt von der norwegischen Volksmusik – in den anschließenden dritten Sätzen vorkommen.

Ein gewisses Kapitel für sich stellt in dieser Reihe die Fantasie KV 475 dar: Es ist schon allein für Mozart ein sehr ungewöhnliches Werk, dass uns von seinem Ansatz tief ins 19. Jahrhundert einführt – vor allem formell (sechs Abschnitte, unabgeschlossen und nacheinander ununterbrochen folgend) und harmonisch (teils unvorbereitete Gegenüberstellungen von verschiedenen Tonarten). Und gerade dieses spätromantische Potential greift Grieg auf und steigert durch seine zweite Stimme – der formelle Verlauf der Fantasie lässt sich noch endloser begreifen, und die harmonischen Spannungen treten deutlich verschärft auf. Außerdem wird die einmalige, aus der Stille ausbrechende Leidenschaft des fünften Abschnittes Piu Allegro in g-Moll durch Griegs zweiten Part dermaßen gesteigert, sodass man für diese Momente die feine klassische Epoche des 18. Jahrhunderts als Wiege dieser Musik total vergisst und sich der großen dramatischen Kontraste der Romantik ausgesetzt fühlt.

Unsere interpretatorische Auseinandersetzung mit diesen Werken hat uns, neben rein künstlerischer Bereicherung und großem Vergnügen, reichlich Stoff zum Nachdenken gegeben – vor allem darüber, wie unerschöpflich und weitereichend seine schöpferische Fantasie gewesen sein muss, die seinen Werken durch ihre Nachwirkung eine Art Reinkarnation in über 100 Jahren ermöglichte.

Mark Kantorovic
Roman Salyutov

KV 283 St. Johannis Karlstadt

Die Kunstentfaltung in Mozart Sonate, die Regelmäßigkeit der Grundrisse und der motivischen Entwicklung lassen Mozarts Musik so leicht und fließend ins Ohr gehen. Viele Menschen sagten mir, sie würden durch seine Musik beruhigt werden. Es ist nicht nur eine intellektuelle Leidenschaft in seinen Tönen, sondern eine fast demütige Verspieltheit aus Tonika und Dominante, unmissverständlich und Effekthascherei. Beim Üben dieser Sonate war mir besonders wichtig, das Transparente, das fast „Glashafte“ seiner besonderen Virtuosität, die nur Mozart so zeigt, in fast wie verquirlten Läufen und dekorativen Verzierungen lupenrein herüberzubringen.
Die Schwierigkeit von Mozarts Musik am Klavier ist die Einfachheit, die am Schluss übrig bleiben soll, als wäre es tatsächlich ein Kinderspiel, eine Schleife, die man sich ins haar bindet, ein Spaziergang barfuß - die Charaktere sind nicht fest umrissen, sondern poiniert dargestellt - als hätte jede liebliche Melodie sein Sonntagskleid an.
Text: Ann-Helena Schlüter


KV 283, Klavier-Sonate G-Dur
Solisten: Ann-Helena Schlüter (Klavier)
Aufnahme am 28. Februar 2015 in der Kirche St. Johannis, Karlstadt

KV 283, Klavier-Sonate G-Dur
KV 283, Klavier-Sonate G-Dur, Allegro
KV 283, Klavier-Sonate G-Dur, Andante
KV 283, Klavier-Sonate G-Dur, Presto