KV 396 Ratssaal Bensberg

Die Fantasie KV 396 ist mit dem Jahr 1782 datiert und stellt ein Fragment einer Violinsonate dar, die angeblich im Rahmen einer größeren Sonatensammlung für Mozarts Frau Constanze geplant war. In dieser Zeit setzte sich der Komponist u. a. mit Werken J. S. Bachs auseinander: er studierte sie intensiv und erschloss immer weitere Tiefen der Kunst des Kantors aus der Leipziger Thomas-Kirche. In dieser Hinsicht weist Mozarts Fantasie einige besonders markante Parallelen zu Bachs Klavierwerken. Eine markant improvisatorische Natur dieser Musik, die sich in den umfangreichen, klanglich massiven Arpeggien, rhythmisch entschlossenen, sogar imperativen Wendungen sowie mehreren langen, abgesondert erscheinenden, skalenartigen Tonabfolgen zeigt, mag an die Bach’sche Klavierkunst erinnern.

Diese Arpeggien, dynamisch stark und sich über mehrere Register hinausstreckend eröffnen die Fantasie und bringen zusammen mit der drauffolgenden, deklamatorisch wirkenden punktierten Rhythmik einen ersten Impuls: die Musik drängt in die Stille wie plötzlich ein, schwungvoll und majestätisch. Mit dem entsprechenden Pedalgebrauch vom Basston aus erzielt man eine so gut wie orgelartige Klangpalette – der Klang verbreitet sich gewaltig und füllt den Raum. Danach bringt mit sich das erste Piano einen Kontrast, in dem sich ein anderer Mozart zeigt – mit viel Intimität und trauriger Nachdenklichkeit, die durch die für den Ausdruck von Leid und Schmerz sorgende Chromatik mit vielen Dissonanzen entwickelt wird und am Ende des ersten Abschnitts sogar den Eindruck einer Hoffnungslosigkeit vermittelt.

Doch Mozarts lebensfrohe, aufmunternde Ausstrahlung ist nach dieser markant zum Ausdruck gebrachten Hoffnungslosigkeit nicht verloren gegangen: völlig unerwartet präsentiert sich das zweite Thema als selbstbewusst und entschlossen. Erheblich virtuos gestaltete Tonabfolgen in Doppelterzen in der Melodiestimme verleihen der Musik eine Brillanz, deren Ziel nicht bloß die Schau der Virtuosität, sondern die Markierung und Festigung einer neuen Geste ist – einer Geste, die nach der vorherigen, sich etwas in Resignation auflösenden Phrase, für eine Wiederbelebung der Sinne sorgt.
Der Anfang des mittleren Abschnitts zeichnet sich durch einen herausragenden dramatischen Ansturm aus: flehende, verzweifelte Rufe in der oberen Stimme werden von den drohenden „Schicksalsschritten“ im Bass gewaltig unterdrückt. Der aus Arpeggien bestehenden Begleitung teilt Mozart eine wichtige Rolle zu: wie große stürmische Wellen rollen sie auf und nieder und tragen zur Widerspiegelung der höchsten emotionalen Aufregung entscheidend bei.
Nach diesem unglaublichen Ausbruch kehrt das erste Thema zurück, das die leidenschaftliche Aussage des Komponisten mit beibehaltener Spannung fortsetzt und genauso wie vorher allmählich resigniert. Das zweite Thema im majestätischen C-Dur setzt an dieser Stelle aber kontrastreich ein und schließt das Werk im emotional positiven Ton ab.



KV 396, Fantasie c-Moll
Solist: Roman Salyutov (Klavier)
Aufnahme am 12. Juni 2016 in Bergisch Gladbach, Ratssaal Bensberg

KV 396, Fantasie c-Moll