KV 243 Städtischer Chor Leverkusen

W.A. Mozart: “Litaniae de venerabili altaris Sacramento KV 243”

In seinem Artikel verbürgte Anekdoten, aus Wolfgang Gottlieb Mozarts Leben in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung von 1800/1801, berichtet Friedrich Rochlitz von einem angeblichen Gespräch Mozarts mit dem Thomaskantor und Bach-Schüler Johann Friedrich Doles 1789 in der Leipziger Thomaskirche (wo Mozart tatsächlich auf Bach’s Orgel gespielt hat).
Mozart, der Katholik, gibt darin dem Protestanten Doles zu bedenken: »Ihr fühlt gar nicht, was das will: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem, und dergleichen... Aber wenn man von frühester Kindheit, wie ich, in das mystische Heiligthum unsrer Religion eingeführt ist wenn man da, als man noch nicht wußte, wo man mit seinen dunklen, aber drängenden Gefühlen hinsolle, in voller Inbrunst des Herzens seinen Gottesdienst abwartete, ohne eigentlich zu wissen, was man wollte, und leichter und erhoben daraus wegging, ohne eigentlich zu wissen, was man gehabt habe, wenn man die glücklich pries, die unter dem rührenden Agnus Dei hinknieten und das Abendmal empfingen, und beim Empfang die Musik in sanfter Freude aus dem Herzen der Knieenden sprach: Benedictus qui venit etc. dann ist's anders.«
Obwohl das zitierte Gespräch in der Thomaskirche nicht sicher verbürgt ist, und Mozart durch die Auseinandersetzung mit Gedanken der Aufklärung und des Freimaurertums nicht in der traditionell kirchenfrommen Erziehung seiner Salzburger Jugend befangen blieb, scheinen mir seine Worte doch mit der Innigkeit und Süße, auch der Dramatik der Musik der “Litaniae de venerabili altaris Sacramento KV 243” zu korrespondieren. Mozarts Musik spricht hier durchaus so. Von allen Kommentatoren hat der große Mozart-Forscher Alfred Einstein dieses Werk, wie mir scheint, am besten verstanden - auch wenn er die religiöse Veranlassung virtuoser Konzertarien anzuzweifeln scheint. Er schreibt: Die Litaniae de venerabili altaris Sacramento sind eins seiner persönlichsten, mozartischsten Werke, das zu bewundern und zu lieben nur kirchenmusikalischer Purismus verhindern kann. Es wäre ungefähr so, wie wenn man das Große Jüngste Gericht oder den Höllensturz von Rubens als Malerei ablehnen wollte, da einige der weiblichen Seligen oder Verdammten sich nicht scheuen, einige unleugbare Reize zur Schau zu stellen. Und daran hat kein Gläubiger des 17. oder 18. Jahrhunderts Anstoß genommen. Nun, da Mozart diesmal keine Rücksicht auf den Erzbischof zu nehmen braucht, legt er sich auch keine Rücksichten als Musiker auf er breitet sich aus, er schreibt umfangreiche Arien für Solisten, er gestattet sich polyphone Arbeit und gestaltet das Pignus zu einer Doppelfuge, einem seiner größten Meisterwerke im kontrapunktischen Salzburger Stil. Daneben schreibt er homophone Stellen, die so ‘modern‘ sind, daß man glaubt, sie etwa in Verdi’s “Requiem” antreffen zu können. Für wen hat Mozart dergleichen geschrieben? Offenbar für Kenner unter den Andächtigen, es war ein Konzert unter liturgischem Vorwand. Dem entsprechen auch die koloraturreichen Arien mit obligaten Instrumenten, und die unglaublich farbige Orchestrierung, die kontrastreiche, unmittelbare Aufeinanderfolge der einzelnen Sätze: welch ein Effekt, wenn das Tremendum mit den drei Posaunen einsetzt! Wahrlich, Werke wie dieses, (das er besonders schätzte) hat Mozart im Kopf gehabt, wenn er in seinem Gesuch an den Hochweisen Wiener Magistrat 1791 von seinen “auch im Kirchenstyl ausgebildeten Kenntnissen” spricht. Seit frühchristlicher Zeit wird bei der Abendmahlsfeier während der Danksagung eine Sakramentslitanei gesungen. Gerade im süddeutsch-österreichischen Raum waren diese Lobpreisungen oder Bittgebete mit der häufigen Wiederholung des »miserere nobis« - erbarme Dich unser – sehr beliebt. Die Litaniae de venerabili altaris Sacramento KV 243 erklangen zum ersten Mal im März 1776, an einem Palmsonntag, im Salzburger Dom.
Auf der Grundlage des feststehenden Textes bedient sich Mozart bei dieser Vertonung der mehrsätzigen Kantatenform, wie er sie in Italien kennengelernt hatte. Seine Erfahrungen mit der glanzvollen italienischen Kirchen- und Opernmusik während der drei Reisen ins »gelobte Land« der Musik (1769-1773) hatten seinen Stil 1776 schon weit über die Salzburger Vorbilder Michael Haydn, J.E. Eberlin und des eigenen Vaters hinauswachsen lassen. Seine melodische Glut, die Tiefe seiner Farben, sind in diesem Werk schon ohne jeden Vergleich, das Genie des Zwanzigjährigen schlägt bereits Töne an, die noch im “Requiem” von 1792 nachhallen werden.
Helmut Breidenstein

KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento
Orchester: Mitglieder des Bundes- und Landesjugendorchesters
Solisten: Sirkka Parviainen (Sopran), Margaret Thompson (Mezzosopran), Martin Koch (Tenor), Jouni Kokora (Bass)
Leitung: Helmut Breidenstein
Live-Konzert des Städtischen Chores Leverkusen in der Hl. Kreuz-Kirche, Leverkusen-Rheindorf, am 3.12.2000
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 1
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 2
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 3
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 4
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 5
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 6
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 7
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 9
KV 243, Litaniae de venerabili altaris sacramento, Satz 10