KV 107 KV 414 Kreuzkirche Chemnitz

„die konzerten sind nicht z u schwer und nicht zu leicht - sind sehr brillant - angenehm in die Ohren - außer die langen nicht. Natürlich, ohne in das leere zu fallen - hie und da - können auch kenner allein satisfaction erhalten - doch so - daß die nichtkenner damit zufrieden seyn müssen, ohne zu wissen warum.“ Wenn Wolfgang Amadé Mozart hier – die ersten drei Wiener Klavierkonzerte KV 413-415 beschreibend - in einem Brief an seinen Vater 1782 solche weisen Worte findet, dann finden wir nicht nur die eingangs beschriebene These bestätigt, die Klavierkonzerte seien eher für eine kleine Schar von „Kennern“ verfasst, wir müssen diese Worte auch als Ergebnis der bereits erfolgten, langen intensiven Beschäftigung mit dem Genre Klavierkonzert werten. Mozarts eigene Entwicklung als Komponist und Pianist spiegelt sich hier ebenfalls wieder, denn die meisten seiner Konzerte schrieb Mozart für sich selbst, für Gesellschaften und Akademien, die begierig auf jedes neue Werk des Genius harrten. Dabei hatte sich Mozart – wie er überhaupt als Kind bereits die vorherrschenden Stile und Geschmäcker in halb Europa nicht nur kennenlernte, sondern auch studierte, kopierte und zu eigener Meisterschaft brachte - auch dieses Genre hart erarbeitet. Vater Leopold hatte die Förderung des Sprösslings mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten betrieben, so dass Biografen heutzutage kritisch anmerken, dass für eine unbeschwerte Kindheit zwar kaum Raum gegeben war, Mozart aber frühzeitig auch derart in der Musik lebte, dass ihn mindere Ergötzungen vermutlich auch gelangweilt hätten. So wird im Nachhinein über die Londoner Reise der Familie Mozart durchweg positiv berichtet und Wolfgang Amadé hatte den dort ansässigen Meister Johann Christian Bach (1735-1782), den jüngsten Sohn von Johann Sebastian Bach, auch später immer wieder als väterlichen Freund und Lehrer gerühmt – schließlich setzte er ihm sogar in seinem A-Dur-Klavierkonzert, das ebenfalls heute zu Gehör kommt, ein kleines Denkmal im Mittelsatz.

Bei der großen Westeuropa-Reise der Mozarts durch die Niederlande, Belgien, Frankreich und England 1763-1766 musizierte der 8-jährige Mozart in London mit Johann Christian Bach, der sich dort einen guten Ruf als Musiklehrer und Opernkomponist erarbeitet hat. Mozart schrieb auch dort seine ersten Sinfonien sowie vier Klavierkonzerte, die noch Arrangements von Stücken anderer Komponisten waren. Wohl auch mit Unterstützung der korrigierenden oder ergänzenden Hand des Vaters entstanden im Herbst 1770 dann die drei Cembalokonzerte KV 107 in D, G und Es-Dur, die auf Sonaten von Johann Christian Bach beruhen. Sie sind nicht in die Zählung der 27 Klavierkonzerte Mozarts eingegangen, sind aber doch ein auch im Vergleich mit dem reifen A-Dur-Konzert spannende Dokumente, mit welchen Konventionen, Regeln und Freiheiten der junge Mozart beim Schreiben der Musik konfrontiert wurde. Die von Kuhnau und Scarlatti begründeten Instrumentalsonaten für das Cembalo, bei Johann Christian Bach schon für das Hammerklavier gedacht, waren dreisätzig und entwickelten den klassischen Typus der Klaviersonate aus: die Folge von Schnell-Langsam-Schnell galt als obligat, einem Sonatenhauptsatz folgte meist ein Andante als Variationensatz, ein Menuett oder Rondo beschließt das Werk. Wenn wir den Ausdruck hier als „einfach“ oder „unbekümmert“ charakterisieren, so ist dies aus heutiger Sicht beschrieben. Zu Mozarts Jugendzeit wandelte sich der barocke Affekt gerade einmal in Empfindung und die „Bach-Abel Concerts“ (übrigens die ersten Abonnement-Konzerte überhaupt!), die Johann Christian Bach in London 1764 einführte, waren wohlbedacht darauf, Geschmack und Unterhaltungslust des Publikums zu treffen.

„Als Mozart 1791 starb, war das Solo-Konzert qualitativ und prinzipiell ein anderes geworden als zu der Zeit, in der er antrat“, schreibt der Musikwissenschaftler und Dirigent Peter Gülke. Das Klavierkonzert A-Dur KV 414 stammt aus einer glücklicheren, hellen Zeit Mozarts, es wurde im Herbst 1872, dem Jahr seiner Heirat mit Constanze Weber, in Wien komponiert. Mozart hatte Erfolge als Virtuose und Lehrer zu verbuchen, musste sich aber dennoch um finanzielle Einträge kümmern, was die konzentrierte Folge von gleich drei Klavierkonzerten KV 413-415 erklärt. Zudem macht Mozart möglichen Interpreten Zugeständnisse und bietet die Konzerte „a quattro“, also nur mit Streicherbegleitung zur Aufführung an, wovon wir heute mit Blick auf die Charaktere und Farben der Bläser gottlob zumeist absehen. Die absichtsvolle Komposition in Richtung der „Kenner und Liebhaber“ ist hier stärker als in anderen Konzerten fühl- und hörbar: Mozart hat Kadenzen zu den Konzerten gleich in mehreren Fassungen veröffentlicht und auch der Solopart wirkt deutlich ausnotierter als noch bei früheren Werken. Wenn Mozart 1783 an den Kunstmäzen Baron von Swieten schreibt, dass „wir lieben, uns mit allen möglichen Meistern zu unterhalten; - mit den alten und modernen.“, so taugt dies wunderbar als Motto für das heutige Konzert, denn Mozart nimmt in diesem Klavierkonzert die Unterhaltung wörtlich und komponiert einen Dank an Johann Christian Bach, der am 1. Januar 1782 in London gestorben war, in den 2. Satz ein: Als Vordersatz des Themas im Andante übernimmt Mozart die ersten vier Takte einer Ouvertüre, die Bach 1763 zu Baldassare Galuppis Oper „La Calamitá dei Cuori“ („Die Trübsal der Herzen“) komponiert hatte. Die „Unterhaltung“ wird noch dadurch bestärkt, dass Mozart sich selbst im Verlauf des 2. Satzes zitiert und eine Reminiszenz an den 1. Satz anfügt und der Moll-Mittelsatz die Erinnerung an das Zitat verblassen läßt, bevor es erneut im Solo-Klavier erscheint. Der dritte Satz, „Allegretto“ erscheint als fröhliches Rondo und der „Kenner und Liebhaber“ wird nicht nur feststellen, welche persönliche Reife Mozart von der Bearbeitung der Bach-Konzerte bis zu diesem A-Dur-Konzert erlangt hat, es sind eben auch kleine Feinheiten der Komposition gerade in diesem dritten Satz, die knapp an der Konvention vorbeischrammen (so wartet man hier etwa vergeblich auf einen Moll-Formteil) und daher eben das Hinhören, „Goutieren“ und letztlich die anspruchsvolle Unterhaltung fördern.

Alexander Keuk



KV 107, Klavierkonzert D-Dur
Orchester: Netzwerkorchester VIII
Solist: Saskia Giorgini (Klavier)
Leitung: Eckehard Stier
Aufnahme am 4. Mai 2018 in der Kreuzkirche Chemnitz

KV 107, Klavierkonzert D-Dur
KV 107, Klavierkonzert D-Dur, Allegro
KV 107, Klavierkonzert D-Dur, Andante
KV 107, Klavierkonzert D-Dur, Tempo di Menuetto