Mozart als Freischaffender, oder von der Würde der Musiker

Wenn man sich für einen freiberuflichen Weg bewusst entscheidet, nimmt man sehenden Auges alle damit verbundenen Risiken in Kauf – vor allem vergleichsweise hohe Abhängigkeit von Auftraggebern sowie finanzielle Instabilität. Man hört häufig, Künstler seien zu empfindlich, zu verletzlich, „zart besaitet“. Ja, in der Tat hat man im Falle von freischaffenden Künstlern mit einem sehr sensiblen psychischen Barometer zu tun, denn in ihrer Kunst offenbaren sie sich ihren Mitmenschen gegenüber viel tiefgehender und intensiver, als dies im alltäglichen Leben der Meisten in der Regel passiert. Sie sind in ihrer Würde sehr empfindlich, weswegen sie – gerade als Vertreter eines freien, instabilen und von sehr viel Faktoren abhängigen Künstlerberufs – auf einen anerkennenden, rücksichts- und würdevollen Umgang anderer Leute besonders angewiesen sind.

Freischaffende Musiker sind eine der meist verbreiteten Gruppen in diesem Bereich – und auch eine der Ältesten. Viele berühmte Komponisten der Vergangenheit, deren Werke heutzutage den Kern des klassischen Repertoires bilden, waren im Laufe ihren Lebens mehr oder weniger freischaffend tätig. Und zu den weltweit bekanntesten und prominentesten Namen gehört auch Wolfgang Amadeus Mozart. Mozarts Leben stellt in dieser Sicher ein deswegen besonders interessantes Beispiel dar, weil in ihm mehrere Fäden, die üblicherweise für einen künstlerischen Freiberufler typisch sind, zusammenlaufen. Und die Verflechtung von verschiedenen Tendenzen werden wir uns jetzt etwas näher anschauen.

Ein Anfang als musikalisches Wunderkind – ist das nicht wirklich erfolgsversprechend, bei Mozarts unglaublichem Talent ja sogar erfolgsgarantierend? Tatsächlich genoss der junge Mozart, der seine ersten europaweiten Reisen bereits mit knappt 10 Jahren bravourös absolvierte, große öffentliche Aufmerksamkeit und zog neugierige Blicke auf sich heran. Diese Momentaufnahmen zeugen von wirklich großen Erfolgen. Damals erschien dem jungen Genie das anstehende Künstlerleben in rosigen, aufmunternden Tönen – wer kann schon das junge Talent, das mehrere Instrumente beherrschte und wunderbare Stücke zu komponieren vermochte, so einfach vergessen?

Die Enttäuschung kam so gut wie unerwartet. Als Mozart in etwas höherem Alter versuchte, alte Kontakte aufzufrischen, um Engagements, sei es Auftritte oder vor allem Kompositionsaufträge, zu bekommen, stieß er in vielen Fällen auf eine Wand von Desinteresse und Gleichgültigkeit. Vergeblich versuchte er auch, eine feste, stabilitätsbringende Anstellung als Kapell- bzw. Konzertmeister zu erreichen. Die rosige Kindheit war für immer vorbei, aus einem netten, putzigen, talentierten Jungen wurde ein reifer Musiker – mit ergreifender Tiefe und Seriosität seiner künstlerischen Ideen. Dieser Mozart interessierte seine gestrigen Bewunderer nicht mehr wirklich – er konnte und wollte sie einfach nicht mehr belustigen, sondern forderte im Gegenzug Verständnis, Geschmack und Respekt für seine Kunst, was die Meisten nicht entgegenbringen konnten und wollten. Als er sich dessen verzweifelt vergewissern konnte, fühle er sich gekränkt. Um einigermaßen über die Runden kommen zu können, stellte er sich zu musikalischen Diensten des Salzburger Erzbischofs, der keine Gelegenheit verpasste, Mozart zu erniedrigen und ihn verstehen und spüren zu lassen, was er von ihm und seinem Talent hielt. Er behandelte Mozart respektlos - als sein Eigentum, als seinen Sklaven, weil er gut wusste, dass der Komponist nicht einfach so kündigen kann und auf ein stabiles Gehalt angewiesen war. Mozarts Würde litt unter einem solchen Umgang enorm. Er musste buchstäblich am eigenen Leib erleben, wie unwürdig und verachtend Musiker behandelt werden konnten. Eine wahre Befreiung war für ihn somit die Kündigung in Salzburg, die er mit viel Mühe 1777 erreichen konnte. Mozart verabschiedete sich von der erdrückenden Atmosphäre seiner Geburtsstadt und entschied sich für ein neues Leben in Wien.

In Wien erhoffte er sich zunächst auch eine Anstellung – diesmal als Hofkomponist und Kapellmeister. Trotz vieler Schwierigkeiten auf seinem steinigen Lebenswege gehörte sein Name letzten Endes zu den führenden Musikern der damaligen Zeit, die – wie er idealistisch hoffte – nicht vergessen werden könnten. Parallel komponierte er intensiv weiter und schuf in dieser Zeit seine reifsten und schönsten Werke. Aber seine Pläne, eine mehr oder weniger feste Position zu besetzen, blieben zum größten Bedauern unerfüllt. Als Trost wurde ihm vom Kaiser eine Art Pension bewilligt, und dabei ohne einen bestimmten Aufgabenkreis. Mit Bitterkeit sagte er dazu, dieses Geld sei zu viel dafür, was er faktisch tue, und zu wenig dafür, was er tun könne. Diese Pension betrachtete Mozart als halbherzigen Ausdruck von Mitleid, als wäre er ein Unfähiger, der nur von der Gnade Dritter leben könnte. Die erniedrigende Lage der Musiker verletzte ihn schmerzlich, aber er behielt seine Würde und ging auf keine Kompromisse, die nicht seinen künstlerischen Kriterien und Visionen entsprachen, ein. Mozarts Leben war eine Art Berg- und Talfahrt – eine intensive Pendelbewegung zwischen Erfolg und Vergessenheit, Hoffnung und Verzweiflung. Die hohen emotionalen und psychischen Spannungen des freischaffenden Lebens wirkten sich auf seine Gesundheit immer schlechter aus, sodass er, nicht einmal 36 Jahre alt, diese Welt für immer verließ. Aber auch auf seinem letzten Wege als Verstorbener waren ihm kein Respekt und würdevoller Umgang gegönnt: Mozarts sterbliche Überreste verschwanden in einem namenlosen Massengrab, und keiner bis heute weiß genau, wo er seine letzte irdische Ruhestätte fand.

Mozarts im Endeffekt tragischer Lebensweg ist ein markantes Beispiel dessen, wie eine sensible künstlerische Persönlichkeit in einer Kollision mit dem gnadenlosen und gleichgültigen Alltag untergehen kann. Und es werden dabei keine großen Forderungen an die nichtmusikalische Mehrheitsgesellschaft gestellt – lediglich nur Respekt und würdenvollen Umgang mit denen, die in einem extrem instabilen Beruf ihre Talent, Zeit und Kraft dem geistigen Wohl der Gesellschaft zu Diensten stellen. Dabei erfordern künstlerische Berufe einen überdurchschnittlich hohen Grad von Sensibilität der Kulturschaffenden, denn es geht schließlich um eine sehr emotionale Sphäre. Den meisten Künstlern wird vorgeworfen, sie seien zu kapriziös und launisch, aber ganz oft handelt es sich dabei nur um eine hochempfindliche Natur, der eventuell mehr Toleranz und Verständnis entgegengebracht werden sollen.

So auch bei Mozart: Die Brillanz seiner Musik, die Leichtigkeit seines künstlerischen Geistes und die Lebensgewandtheit seiner Natur waren ihm zwar eine enorm wichtige Stütze auf seinem Wege, wurden jedoch von der Gleichgültigkeit und Arroganz des Alltags und Umfelds dermaßen bezwungen, sodass sein Leben vorzeitig zu Ende ging. Aber aus seiner Musik – sogar aus den Zeiten bitterer Not und großer Verzweiflung – steigt sein würdevoller Geist empor und setzt ein unsterbliches Denkmal für bedingungslose Hingabe und Treue seiner Kunst gegenüber.

Text: Dr. Roman Salyutov 2022