Von einer spannenden Begegnung

Für Viele, die sich für die Biografien großer Komponisten der Vergangenheit interessieren, stellen sich häufig folgende spannende Fragen: Wie war das persönliche Verhältnis zwischen ihnen, besonders zwischen den berühmten Zeitgenossen? Kannten und schätzten beispielsweise Bach und Händel einander? Warum war die Meinung Chopins über seine gleichaltrigen Künstlerkameraden Schumann oder Mendelssohn zurückhaltend? Wieso standen Brahms und Wagner einander so unversöhnlich gegenüber? Und warum pflegte Liszt eine enge Freundschaft zu mehreren russischen Komponisten? Solche Fragen helfen uns, die Persönlichkeiten großer Menschen mit all ihren Nuancen tiefer zu begreifen, denn solche Verhältnisse stellen ein besonders Kapitel in der Musikgeschichte dar – geprägt von gegenseitiger Bewunderung und Unterstützung, aber auch von erbitterten Auseinandersetzungen und sogar offener Feindschaft.

Bei Mozart, der einer der drei Vertreter der kompositorischen Schule der Wiener Klassik war, ist es sicherlich spannend zu erfahren, was ihn mit seinem Vorgänger Josef Haydn und dem jüngeren Nachfolger Ludwig van Beethoven verband.
Mit Haydn ist die Situation relativ einfach: sie kannten sich gut, und es war sogar eine richtig intensive und beidseitig bereichernde Freundschaft. Mozart betonte unter anderem, dass er gerade von Haydn gelernt hätte, gute Streichquartette zu schreiben. Sie trafen sich, spielten gemeinsam Kammermusik und tauschten sich über ihr kompositorisches Schaffen aus. Obwohl Haydn 24 Jahre älter war, überlebte er Mozart fast um 20 Jahre und behielt eine große Bewunderung für die Kunst seines früh verstorbenen Freundes.
Einen etwas anderen, etwas geheimnisvollen und daher umso spannenderen Fall stellt das Verhältnis von Mozart zu Beethoven dar. Es kam angeblich nur zu einem einzigen Treffen der beiden Musiker, das aber historisch nicht eindeutig belegt ist und somit immer wieder diskutiert wird. Anhand dessen, was über dieses wahrscheinliche Treffen bekannt ist, versuchen wir, es zu rekonstruieren – wir nehmen an, dass es tatsächlich stattfand - und darüber hinaus uns vorzustellen, ob und inwieweit es für sie prägend war. Hier werden also einzelne überlieferte Angaben dazu zusammengefasst.

Der 1770 in Bonn geborene Beethoven hatte den brennenden Wunsch, nach Wien zu gehen, um Haydn und Mozart kennenzulernen und womöglich bei ihnen Unterricht zu nehmen. Im Jahre 1787 wurde sein Traum tatsächlich wahr: Er reiste nach Wien und erhielt unter anderem eine Audienz bei Mozart, der er aufgeregt und erwartungsvoll entgegenfieberte! Ende der 1780er Jahre war Mozarts Lage nicht so stabil und gesichert, wie es auf den ersten Blick erscheinen konnte: Der Tod des Vaters, seine eigene, zunehmend schwächelnde Gesundheit wie auch seine mehr oder weniger konstanten finanziellen Probleme kosteten ihn sehr viel Kraft und trieben ihn immer mehr in den Abgrund. Und obwohl er sich über einen solch fleißigen und sich der Musik restlos widmen wollenden Schüler wie Beethoven natürlich sehr freuen könnte – zumal er aus Geldnot häufig absolut unbegabte und nicht echt motivierte Personen unterrichten musste – schien Beethovens Besuch mitten in seiner schwierigen Lage etwas untergegangen zu sein. Der junge Bonner Künstler eilte zum vereinbarten Zeitpunkt – und nun war er da, im Wiener Haus von Mozart, er sah den von ihm vergötterten berühmten Komponisten und durfte ihm vorspielen. Er präsentierte etwas von seinen, noch nicht zahlreichen, aber bereits einen individuellen Stil aufweisenden Werken und improvisierte über spontan vorgeschlagene Themen. Und Mozart .... war nicht sonderlich begeistert! Seine eher kühle Zurückhaltung musste Beethoven schmerzlich getroffen haben, denn mit diesem Treffen verband der junge Künstler seine weitereichenden Hoffnungen. Und obwohl die Begegnung relativ kurz war und keine sofortige künstlerische Sympathie vonseiten Mozarts spüren ließ, erklärte er sich prinzipiell bereit, Beethoven zu unterrichten. Zu Beethovens Bedauern musste dieser aber Wien sofort verlassen, weil ihn eine alarmierende Botschaft aus Bonn erreichte – seine Mutter erkrankte schwer. Er machte sich sofort auf den Heimweg, und als er zum nächsten Mal – im Jahre 1792 - nach Wien kam, war Mozart bereits tot.
Auf den ersten Blick sieht man nichts Besonderes an dieser einzigen Begegnung – und es gibt trotzdem Gründe, zu sagen, dass wir Mozart dadurch etwas besser kennenlernen konnten. Während Beethovens ihm vorspielte, wandte sich Mozart leise an Anwesende mit Worten, etwa: „Behalten Sie den Namen dieses Jungen in Erinnerung – er wird noch die Welt von sich sprechen lassen!“. Der gerade spielende Beethoven bekam anscheinend nichts davon mit, aber wie wahrlich wegweisend war Mozarts Bemerkung! Auf der einen Seite keine Beethoven gegenüber geäußerte Begeisterung - und auf der anderen ein solches Zeichen von Anerkennung.

Was könnten wir daraus schließen?

Sicherlich waren die ideellen Welten von Mozart und Beethoven unterschiedlich – der sonnigen, kristallklaren und fein ausgestalteten Art des ersten stand die stürmische, ja sogar revolutionär geprägte, überwältigende Natur des anderen entgegen. Dies schlug sich zudem nicht nur im kompositorischen Stil, sondern auch in der Art des Klavierspielens nieder. Wir wissen, dass sich Mozart als Klavierkomponist im Rahmen von mechanischen und klanglichen Qualitäten der damaligen Instrumente ziemlich wohl fühlte, wobei sich Beethovens Gedanken schon in seinen frühen Werken eher über diese Grenzen hinaus streckten: Er komponierte eine Art Musik der Zukunft – für Instrumente, die es noch nicht gab, also wahrlich visionär. Man kann sich wohl gut vorstellen, wie stürmisch er über Mozarts zartes Cembalo in seinem emotionalen Spielen herfiel – allein das konnte Mozart im ersten Moment auf Distanz gehen lassen, was dann in der von Beethoven gespürten Zurückhaltung resultierte. Auf der anderen Seite finden wir auch bei Mozart ein paar Klavierwerke, wo er sich selbst auf die Suche nach neuen klanglich-technischen Ausdrucksmöglichkeiten begibt, was ihm die Instrumente seiner Zeit nicht wirklich bieten konnten. Da überschreitet er die Grenzen seiner verfeinerten Ausdrucksart und wirkt ungewöhnlich leidenschaftlich. Zu solchen Werken zählt beispielsweise das Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466, das Beethoven so liebte, dass er sogar seine eigenen Kadenzen zum ersten und dritten Satz schrieb – darin, was für Mozart eher eine Ausnahme war, sah er die Wurzeln seiner eigenen Kunst. Und genau das schien Mozart in dem Moment zu verstehen, was sich in seiner bedeutenden Bemerkung zeigte: Ja, es war nicht wirklich seine Art zu spielen und zu komponieren, aber nichtsdestotrotz ließ ihn seine fehlerfreie künstlerische Intuition sofort feststellen, dass gerade dieser unbekannte Bonner Junge, mit brennenden Augen und wildem Temperament, Menschenmassen begeistern und eine Musik der Zukunft schaffen wird. Er war in jenem Moment nicht mit Beethoven einverstanden, zeigte aber ein offenes Ohr und vor allem Mut, seine große Begabung anzuerkennen, obwohl sich die Natur dieser Begabung von seiner eigenen wesentlich unterschied. Nicht Jeder kann in solchen Situationen diese Größe beweisen – Mozart aber hatte sie, und dies lässt ihn in unseren Augen noch gutherziger und menschengewandter werden.

Und obwohl Beethovens Traum, von Mozart unterrichtet zu werden, nie wahr wurde, behielt er in seinem Herzen Seele lebenslang die Erinnerung an sein Wiener Treffen mit dem Meister, der ihm am Anfang seines Weges als ein wegweisender Stern leuchtete.

Text: Dr. Roman Salyutov, 2020